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Predigen, wie es Gott gefällt

Autorenbild: Raymond HofmannRaymond Hofmann


Kein Beruf hat eine so hohe Verantwortung wie der dessen, der Gottes Wort predigt. Gott wird jeden Prediger danach richten, wie wahrhaftig und akkurat seine Predigt ist. Jedes Versagen als Sprecher Gottes bringt nicht nur Schande (2. Timotheus 2:15), sondern auch Gericht. Der Heilige Geist hat verheissen, dass alle, die Gottes Herde hüten, darüber Rechenschaft ablegen müssen (Hebräer 13:17). Es wird für jeden Prediger einen Tag der Abrechnung geben.

Diese gewichtigen Worte stammen aus John MacArthur’s Einleitung zum Lehrbuch Biblisch predigen. [1] Jeder Prediger sollte diese Worte verinnerlichen und seinem Auftrag, den er von Gott erhalten hat, mit der nötigen Ehrfurcht begegnen.


Worin besteht aber dieser Auftrag? Wohl kein anderer Text der Heiligen Schrift vermittelt dies so eindrücklich, wie Paulus’ Worte an seinen Nachfolger Timotheus in 2. Timotheus 4:1-5 (Schlachter):


1 Daher bezeuge ich dir ernstlich vor dem Angesicht Gottes und des Herrn Jesus Christus, der Lebendige und Tote richten wird, um seiner Erscheinung und seines Reiches willen: 2 Verkündige das Wort, tritt dafür ein, es sei gelegen oder ungelegen; überführe, tadle, ermahne mit aller Langmut und Belehrung! 3 Denn es wird eine Zeit kommen, da werden sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern sich selbst nach ihren eigenen Lüsten Lehrer beschaffen, weil sie empfindliche Ohren haben; 4 und sie werden ihre Ohren von der Wahrheit abwenden und sich den Legenden zuwenden. 5 Du aber bleibe nüchtern in allen Dingen, erdulde die Widrigkeiten, tue das Werk eines Evangelisten, richte deinen Dienst völlig aus!

In Vers 1 bringt der Apostel zum Ausdruck, wie ernst der Auftrag des Predigers ist. Es geht um nichts weniger als das Reich Gottes, und genau deswegen steht der Prediger auch unter Beobachtung durch Jesus Christus. In seiner Funktion als Richter, wird er auch die Treue, die Genauigkeit und die Mühe des Predigers beurteilen. Der Prediger muss predigen, wie es Gott gefällt, nicht wie es Menschen gefällt.


Der eigentliche Auftrag wird in Vers 2 beschrieben: “Verkündige das Wort.” Das griechische Verb κηρύσσω (kēryssō), hier mit “verkündigen” übersetzt, bedeutet eine amtliche Botschaft bekannt zu machen, sie öffentlich auszurufen. Es geht wörtlich um eine Proklamation. Der Bote ist dabei der Überbringer der Botschaft, nicht deren Urheber. Er besitzt nicht die Autorität, die Botschaft zu verändern oder gar selbst zu bestimmen. Und welche Botschaft soll der Prediger verkünden? Das Wort. Paulus meint damit das vollständige Wort Gottes, so wie Gott es uns in geschriebener Form in der Bibel offenbart hat.


Der Prediger ist also ein Sprachrohr Gottes, und deshalb ist auch nur die Auslegungspredigt eine wahre Predigt. Die Auslegungspredigt nimmt einen Text der Bibel und legt diesen aus. Die Predigt erklärt den Text und zeigt dessen praktische Anwendung in unserem Leben auf. Dabei ist vom Prediger höchste Sorgfalt und Präzision gefordert.


Die Auslegungspredigt verfolgt unter anderem folgende Hauptziele (frei nach dem eingangs schon erwähnten Lehrbuch Biblisch predigen):

  • Die Auslegungspredigt gibt den Willen Gottes wieder. Sie lässt Gott sprechen, statt den Menschen.

  • Die Auslegungspredigt bringt den Prediger dazu, die ganze Offenbarung Gottes zu verkünden.

  • Die Auslegungspredigt fördert Bibelkenntnis (beim Hörer wie auch beim Prediger!) und führt so zu einer tiefen und reichhaltigen Erkenntnis von Gottes Wesen und der Lehre von der Erlösung.

  • Die Auslegungspredigt vermittelt Autorität, da sie Gottes Wort selbst wiedergibt.

  • Die Auslegungspredigt lässt die Kraft von Gottes Wort auf die Gemeinde wirken und verändert sie damit.


Der Prediger hat nichts anderes zu verkündigen als Gottes Wort.


Der Text aber besagt noch mehr. Wenn wir in Vers 2 weiterlesen, sehen wir, dass es Gott nicht nur wichtig ist, was verkündet wird, sondern auch, wie es verkündet wird. Es steht dem Prediger nicht zu, das Predigen neu zu erfinden.


Zunächst wird der Prediger dazu angehalten, allzeit bereit zu sein, für Gottes Wort einzutreten, egal ob “gelegen oder ungelegen.” In guten wie in schlechten Zeiten, ob es die Menschen hören wollen oder nicht, ob der Prediger Applaus erhält oder verhaftet wird. Der Prediger muss stets das Wort Gottes verkünden.


Weiter muss der Prediger überführen und tadeln. Es genügt nicht, Gottes Wahrheit einfach in den Raum zu stellen. Der Prediger ist angehalten, die Menschen mit Hilfe von Gottes Wort ihrer Sünde zu überführen und sie dafür zu tadeln. Das schliesst mit ein, sie vor den Konsequenzen zu warnen, wenn sie nicht umkehren und nicht von ihrer Sünde ablassen. Dies ist die negative Seite des Predigens.


Schliesslich soll der Prediger aber auch ermahnen und lehren. Dies ist die positive Seite des Predigens. Der Prediger zeigt den richtigen Weg auf. Er veranschaulicht, was gottesfürchtiges Leben bedeutet. Er lehrt, wie Jesus Christus Menschen aus der Sklaverei der Sünde befreit, wenn sie ihr Vertrauen nur ganz in Ihn setzen. Das Verb “ermahnen” ist hier als Aufruf zu verstehen. Der Prediger soll die Menschen dazu aufrufen, dafür plädieren, ja sie sogar regelrecht anflehen, sich von ihrer Sünde ab- und unserem Herrn Jesus Christus zuzuwenden. Schliesslich steht nichts weniger als die Ewigkeit auf dem Spiel!


Bei all dem soll der Prediger methodisch vorgehen, sein Argument sorgfältig und präzise aufbauen und vor allem in Gottes Wort verankern. Das Ziel ist immer, beim Hörer eine Reaktion hervorzurufen. Dabei soll der Prediger geduldig (langmütig) sein. Er darf nicht lockerlassen, sondern soll Gottes Wahrheit auch bei Widerstand wieder und wieder lehren.


Und dieser Widerstand wird kommen, wie Paulus in den Versen 3 und 4 warnt. Gerade weil die gesunde Lehre die Menschen ihrer Sünde überführt, werden sie diese nicht ertragen. Sie werden deshalb die Lehrer, die Gottes Wort treu sind, durch andere ersetzen wollen. Sie werden sich Lehrer suchen, die ihnen sagen, was sie hören wollen – nicht, was sie hören sollten. Nicht mehr Gottes Wahrheit wird dann verkündet, sondern “Legenden”, d. h. Geschichten, die sich die Menschen erzählen, die zwar unwahr sind, dafür aber auf breite Resonanz stossen.


Zum Schluss (Vers 5) dieses monumentalen Textes ermahnt Paulus seinen Schüler Timotheus nochmals eindringlich, sich diesem Widerstand nicht zu beugen. Er soll weiterhin die Heilsbotschaft von Jesus Christus verkünden, egal was er dabei erdulden muss. Timotheus soll treu den Dienst erfüllen, zu dem Gott ihn berufen hat.


Timotheus, wie auch viele seine Mitstreiter und Nachfolger, sind Gottes Wort und Auftrag treu geblieben. Nicht wenige haben über die Jahrhunderte dafür mit ihrem Leben bezahlt, darunter auch Paulus und Timotheus selbst. Das Dunkel hasst das Licht, die Lüge hasst die Wahrheit. Und so werden diejenigen, welche die Wahrheit verteidigen, seit jeher verjagt, verfolgt und sogar getötet.


Und heute? Es ist erschreckend, wie Verse 3 und 4 den Zustand der Kirche, gerade auch in der Schweiz, beschreiben.


Die Auslegungspredigt ist schon beinahe vom Aussterben bedroht. Stattdessen wird gerne über Themen und Ideen gepredigt, die ihren Ursprung in menschlicher Tradition und Weisheit haben. Da beginnt die Predigt dann mit dem Wort eines Schriftstellers, Philosophen oder Politikers. Oder einfach mit einem Thema, welches die Menschen unserer Zeit gerade beschäftig. Der eine oder andere Bibelvers wird eingestreut, um dem Ganzen einen christlichen Anstrich zu verleihen. Nicht selten ist dabei der Vers allerdings aus dem Kontext gerissen und unterstützt nur scheinbar die Aussage des Redners. Die meisten Predigten sind meilenweit davon entfernt, mit einem biblischen Text zu beginnen und diesen Text sowohl Inhalt als auch Struktur der Predigt bestimmen zu lassen.


Natürlich wird auch gerne selektiv gepredigt. Nur in den wenigsten Kirchen wird heute systematisch und Vers für Vers durch ganze biblische Bücher gepredigt. Damit lassen sich schwierige, unpopuläre und dem Zeitgeist nicht entsprechende Passagen elegant umschiffen.


Regelmässig wird auch einfach unsauber gepredigt. Da werden Dinge in einen Text hinein interpretiert, die der Text gar nicht hergibt. Schlimmer noch, nicht selten wird die biblische Wahrheit kompromittiert oder gar ins Gegenteil verkehrt. Ob aus Unwissen, Gleichgültigkeit oder ideologischer Verblendung heraus, sei dahingestellt. Auf jeden Fall kommt der Redner seiner Pflicht gegenüber dem Wort Gottes nicht nach, dieses mit gebührender Sorgfalt zu behandeln und präzise auszulegen.


Die meisten Predigten sind zudem sehr kurz. Oft ist das auch gut so, dann wird wenigstens nicht noch mehr Unsinn gepredigt. Es ist vor allem aber ein weiteres Zeichen dafür, dass Gottes Wort nicht mehr als zentrales Element im Gottesdienst gesehen wird. Der Gottesdienst soll ein Erlebnis sein und positive Emotionen vermitteln, die Menschen möchten unterhalten werden. Viele Predigten dauern 20 Minuten oder weniger. Ich habe auch schon Predigten gehört, die weniger als 10 Minuten lang waren. Dagegen redeten die begnadetsten Prediger der Geschichte (man denke z. B. an Jonathan Edwards, Charles Spurgeon, Martyn Lloyd Jones oder in der heutigen Zeit Steven Lawson) regelmässig eine Stunde oder länger. In Kapitel 20 der Apostelgeschichte lesen wir, dass Paulus zu später Stunde so lange predigte, dass Eutychus einschlief, aus dem dritten Stock aus dem Fenster fiel und dabei zu Tode kam. Paulus aber ging hinunter und erweckte ihn von den Toten. Wie wenn er sagen wollte: “Ich bin noch nicht fertig, und Du hast noch nicht fertig zugehört!”


Viele Prediger halten sich nicht an den Auftrag, wie er in 2. Timotheus 4:1-5 beschrieben ist. Ihre Predigten sind keine Auslegungspredigten – und damit auch keine wahren Predigten. Vielmehr haben sie sich dem Verlangen der Menschen in Vers 3 und 4 gebeugt. Als eine Gemeinde einmal dem grossen Prediger Martyn Lloyd Jones (der vor seiner Berufung in den Predigtdienst als praktizierender Arzt tätig war) vorschreiben wollte, wie er die Gemeinde zu führen und zu predigen habe, war seine Antwort: “Als Arzt habe ich nie meine Patienten die Diagnose stellen und die Behandlung bestimmen lassen. Und als Prediger werde ich sicher nicht damit beginnen.” Leider bringen heute viele Prediger nicht mehr diesen Mut auf. Wohl auch, weil sie sich der Tragweite und Ernsthaftigkeit ihres Auftrags nicht bewusst sind. Und weil sie letztlich wohl ihren waren Auftraggeber nicht fürchten, ja vielleicht nicht einmal kennen.


Aber warum ist das schlimm? Was bedeutete es, wenn ein Prediger sich nicht an den Auftrag Gottes hält? Zum Schluss dieses Artikels will ich diese Frage beantworten. Meine Antwort stützt sich dabei auf eine Liste von Punkten, mit denen John MacArthur seinen Schülern am Master’s Seminary aufzeigt, was ein Prediger anrichtet, wenn er nicht der Praxis der Auslegungspredigt folgt. Diese Punkte sind auch im Lehrbuch Biblisch predigen aufgeführt. Ich beschränke mich auf die drei wichtigsten.


1. Der Prediger reisst dadurch die Autorität Gottes an sich

Wer hat das Recht, in der Gemeinde Gottes zu sprechen? Der Prediger oder Gott? Jedes Mal, wenn ein Prediger an Stelle von Gottes Wort etwas anderes predigt, reisst er damit Gottes Autorität an sich! Welch eine Anmassung! Erst recht für jemanden, der von sich behauptet, von Gott zum Predigen berufen zu sein.


2. Der Prediger nimmt dadurch Christus die Herrschaft über seine Gemeinde

Wer ist das Oberhaupt der Kirche? Wer das Haupt der Gemeinde? Jesus Christus! Und wie baut, führt und instruiert Jesus Christus seine Kirche? Mit seinem Wort! Wenn aber der Prediger nicht treu sein Wort verkündet, sondern an dessen Stelle menschliche Weisheiten und Erfindungen verbreitet, kann Christus seine Gemeinde nicht mehr führen. Die Wahrheit wird so durch Oberflächlichkeit ersetzt. An die Stelle der Kraft Gottes treten menschliche Anstrengungen und Vorlieben beim Versuch, die Gemeinde fruchtbar zu machen. Dies bedeutet nichts anderes als einen direkten Angriff auf die Herrschaft Christi über die Gemeinde.


3. Der Prediger behindert das Wirken des Heiligen Geistes

Welches Mittel benutzt der Heilige Geist für sein Wirken? Das Wort Gottes! Er benutzt das Wort zur Wiedergeburt, wie auch zur Heiligung. Es ist das einzige Mittel, welches der Heilige Geist benutz. Wenn der Prediger also das Wort vernachlässigt, dann behindert er damit das Wirken des Heiligen Geistes. Er verhindert das geistliche Wachstum der Gemeinde und lässt schwache, unreife, wenn nicht gar falsche Christen zurück.


Als Prediger müssen wir uns unserer grossen Verantwortung bewusst sein und uns immer wieder selbst hinterfragen. Komme ich meinem Auftrag wirklich treu nach? Lasse ich Gott zu meiner Gemeinde reden? Vertraue ich auf die Kraft seines Wortes? Verkündige ich die Gesamtheit seiner Offenbarung? Bin ich standhaft und verteidige die Wahrheit, auch wenn sie auf Widerstand stösst?


Wir müssen predigen, wie es Gott gefällt, nicht wie es Menschen gefällt.


Was die schwerwiegenden Folgen sind, wenn Prediger vom Wort abweichen, und warum wir uns nur soliden biblischen Gemeinden anschliessen sollten, werden die nächsten Artikel in dieser Serie anhand von konkreten Beispielen aufzeigen. Den Anfang dazu wird ein Artikel über die Mission der Kirche und die Verkündigung des Evangeliums machen.


[1] John MacArthur (Hrsg.), Biblisch predigen - Eine praktische Anleitung zur Auslegungspredigt. John MacArthur, Berlin, EBTC, 2021. (Originalausgabe: Preaching - How to preach biblically, Thomas Nelson Publishers, 2005)


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