
Es ist nicht ganz einfach, kurz und klar zusammenzufassen, was die Menschen heute über ihre eigene Natur lehren. Es gibt nicht die eine, homogene Weltanschauung derjenigen, welche die biblischen Wahrheiten ablehnen, sondern unzählige Strömungen und Nuancen, die sich zudem stetig verändern.
Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Die grosse Mehrheit stützt sich auf zwei Denkrichtungen, den Humanismus und den Materialismus, sowie auf die Grundannahme, dass der Mensch von Natur aus gut und vollständig autonom ist.
Natürlich steht beides im direkten Widerspruch zu Gottes Offenbarung in der Bibel. Wir haben schon gesehen, dass der Mensch nicht autonom, sondern Gott gegenüber verantwortlich ist. Und genau deshalb ist sein Wunsch nach Autonomie auch das Herz aller Sünde, wie wir ebenfalls schon gesehen haben. Biblisch betrachtet ist der Mensch auch nicht, wie Rousseau es formuliert hatte, “von Natur aus gut.” Das Gegenteil ist der Fall.
Dass der Mensch von Natur aus gut sei, steht aber nicht nur im Widerspruch zur biblischen Wahrheit. Streng genommen steht diese Grundannahme auch im Widerspruch zur eigenen Denkrichtung des Materialismus. Denn in einem materialistischen Weltbild ist der Mensch einfach, was er ist. Und das erst noch aus Zufall. Kategorien wie “gut” oder “böse” kann es im Materialismus gar nicht geben. Der Idee von Werten fehlt im Materialismus jegliche Grundlage. Warum das so ist, werden wir noch sehen. Aber genau diese Art von inneren Widersprüchen macht es ebenfalls schwierig, kurz, knapp und klar zu beschreiben, was die Menschen über ihre eigene Natur lehren.
Ich versuche deshalb, in den folgenden Abschnitten in groben Zügen aufzuzeigen, wie sich das Denken der Menschen seit der Renaissance entwickelt hat. So können wir am besten verstehen, was die Menschen heute denken und weshalb sie das tun. Widersprüche inklusive.
Humanismus
Der Humanismus betrachtet den Menschen als Maßstab aller Dinge. Dies ganz im Gegensatz zur biblischen Wahrheit, in der Gott der Maßstab aller Dinge ist.
Der Humanismus hat seinen Ursprung im Spätmittelalter und der Renaissance, hauptsächlich durch die Wiederentdeckung der griechischen und römischen Klassiker. Diese Wiederentdeckung war eine Reaktion auf den wirtschaftlichen, intellektuellen und kulturellen Niedergang in Westeuropa nach dem Untergang des Römischen Reiches im Westen. Dieser ging einher mit dem Machtzuwachs der römisch-katholischen Kirche, die sich gleichzeitig mit ihren Dogmen mehr und mehr von der Lehre der Heiligen Schrift entfernt hatte. Die Humanisten beklagten, nicht ganz zu Unrecht, dass der religiös begründete Dogmatismus der Kirche den Geist verfinsterte, weshalb das Mittelalter auch als “dunkles Zeitalter” bezeichnet wurde.
Die frühen Humanisten meinten, den Menschen durch ihren Rückblick auf vorchristliche Zeiten, einen grossen Schritt vorwärtszubringen und von den Fesseln des dunklen Mittelalters zu befreien. Das Konzept des autonomen Menschen wurde geboren. Das ist nicht zuletzt in der Kunst erkennbar. Michelangelos Die Gefangenen sind ein anschauliches Beispiel dafür: vier Männer versuchen, sich aus dem Felsen zu reissen. Die Aussage ist klar: Der Mensch wird sich ganz allein befreien. Der Mensch wird siegen. Michelangelos berühmter David geht noch einen Schritt weiter. Die Statue ist überwältigend und auch ihre Botschaft ist klar: Der Mensch ist grossartig! Die Statue zeigt übrigens nicht den biblischen, jüdischen David. Die Figur ist nicht beschnitten. Nein, sie zeigt einfach das humanistische Ideal: einen grossen, mächtigen, stolzen und perfekten Menschen.
Die Humanisten glaubten fest, dass der Mensch, von sich selbst ausgehend, jedes Problem lösen konnte. Der Mensch ist nicht hoffnungslos sündig und von Gott abhängig. Er ist lediglich unwissend. Philosophie, Wissenschaft und Bildung werden alle menschlichen Unzulänglichkeiten beseitigen können.
Humanismus in der römisch-katholischen Kirche
Humanistisch geprägte Ideen haben sich auch in der Kirche verbreitet. Bereits im 4. Jahrhundert hatte Pelagius die biblische Lehre bestritten, wonach der Mensch durch den Sündenfall vollständig korrumpiert wurde, dass er also von Natur aus ein Sünder ist. Die Konzile von Karthago (418) und Ephesus (431) haben diese Sichtweise zu Recht verurteilt und als Ketzerei bezeichnet.
Trotzdem war die biblische Lehre danach nicht gegen im Kern humanistisch geprägte Angriffe und Verfälschungen gefeit. Thomas von Aquin machte die griechische Philosophie, in erster Linie das aristotelische Denken mit seiner Betonung des Konkreten, des Individuellen (gegenüber den universellen Ideen Platons), in der Kirche hoffähig. Ganz im humanistischen Sinne, und zurückgehend auf den Dualismus der griechischen Philosophie, vertrat auch Thomas die Ansicht, dass der Sündenfall den Menschen nicht als Ganzes betroffen hat, sondern nur den Körper. Der Intellekt dagegen sei nicht verdorben.
Die ohnehin schon starke Tendenz des sündigen Menschen, in seinem Streben nach Autonomie Gottes Wort in Auslegung und Anwendung zu verfälschen, erhielt durch den Zeitgeist der Renaissance und des Humanismus auch in der römisch-katholischen Kirche weiteren Auftrieb. Die drei wohl wichtigsten Kategorien von humanistischen Verfälschungen, die sich im Laufe der Zeit in die Kirche und ihre Lehre eingeschlichen haben, sind die folgenden:
Die Heilige Schrift ist nicht die höchste Autorität in Glaubensfragen. Die Autorität der Kirche, also diejenige von Menschen, ist derjenigen der Schrift gleichgesetzt. In der römisch-katholischen Kirche steht die Kirche de facto aber über der Schrift, denn die Kirche beansprucht für sich, dass nur sie die Heilige Schrift korrekt auslegen kann (Lehramt).
Nicht Gott allein bringt dem Menschen Heil (Monergismus), sondern der Mensch wirkt an seinem Heil mit (Synergismus).
Biblisches Denken allein ist für den Menschen nicht ausreichend. Erst die Synthese von biblischem und heidnischem Denken (vgl. Thomas von Aquin und seinen Import griechischer Philosophie, aber auch z. B. Dante, der griechische Mythologie mit biblischen Quellen vermischt) führt zu wahrer Erkenntnis.
Reformation und Aufklärung
Es war die Reformation, welche später versucht hat, den christlichen Glauben von den humanistischen Verfälschungen der römisch-katholischen Kirche zu befreien und sich wieder allein an der Heiligen Schrift (Sola Scriptura) zu orientieren. Es ist deshalb kein Wunder, dass ein religiöser Humanist wie Erasmus die Bestrebungen der Reformation ablehnte. Insbesondere die konsequente Ausrichtung ausschliesslich an der Bibel als Wort Gottes war ihm ein Dorn im Auge.
Es war dieselbe Reformation, welche später die Aufklärung begünstigte. Dies, indem sie die Menschen ermutigte, sich von den unhaltbaren Dogmen der mittelalterlichen, römisch-katholischen Kirche zu befreien. Die Menschen haben sich dann aber nicht nur von der Autorität der Kirche, sondern gleich auch noch von der Autorität der Bibel (dem Wort Gottes) losgesagt. In der Aufklärung erreichten so die humanistischen Strömungen der Renaissance ihren Höhepunkt. Die Vernunft des Menschen wurde zum Masstab allen Handelns.
Mit der Aufklärung war das Denken nun vollständig säkularisiert, Mensch und Gesellschaft waren aus sich selbst heraus vervollkommnungsfähig. Die ultimative Form des Menschen als Mass aller Dinge gipfelte in der Vergöttlichung des Menschen. Der Mensch war jetzt nicht nur von Natur aus gut, sondern auch vollkommen autonom. Genau so, wie es die Schlange schon im Garten Eden versprochen hatte.
Die Aufklärung, und mit ihr der Gipfel des Humanismus, war die totale Antithese zur Reformation. Hier der Mensch, der sich wie in Eden vergöttlichen wollte. Dort der Mensch, der sich Gott und der biblischen Wahrheit unterordnete. Die Konsequenzen der Rebellion in Eden waren schrecklich. Sollte es dieses Mal anders sein?
Wir werden im dritten Kapitel noch darauf zurückkommen, wenn wir die praktischen Konsequenzen der beiden so grundsätzlich verschiedenen Weltbilder des Humanismus und der Reformation studieren. Nicht nur der Vergleich der Englischen Revolution (reformatorisches Weltbild) mit der Französischen Revolution (humanistisches Weltbild) wird uns daran erinnern, dass die Autonomie das Herz aller Sünde ist – und deren Folgen schrecklich sind.
Materialismus und Moderne Wissenschaft
Eine weitere wichtige Strömung, die zeitlich mit mehr oder weniger mit Renaissance und Reformation zusammenfiel, war der Beginn der modernen Wissenschaft. Beruhte die Wissenschaft des Mittelalters primär auf Logik und philosophischer Autorität, begann sich mit Kopernikus (1475–1543) die empirische Forschung zu etablieren. Wissen wird dabei aus Beobachtung gewonnen und muss sich an empirischen Fakten messen lassen.
Das führte schnell zu Konflikten mit der römisch-katholischen Kirche. Dabei ist es allerdings wichtig zu verstehen, dass die römisch-katholische Kirche Kopernikus und später auch Galilei (1564–1642) nicht etwa deswegen angegriffen hat, weil ihre Lehren der Bibel widersprachen. Sondern, weil sie der Lehrmeinung der Kirche widersprachen. Und diese wiederum war seit Thomas von Aquin nicht nur von aristotelischem Denken geprägt, sondern beruhte ganz grundsätzlich vorwiegend auf menschlicher Autorität.
Der Beginn der modernen Wissenschaft stand keineswegs im Konflikt mit den Lehren der Bibel. Ganz im Gegenteil. Die Bibel bildet nämlich die eigentliche Grundlage für Wissenschaft. Das Universum wurde von Gott geschaffen und dieser ist, gemäss seiner eigenen Offenbarung in der Bibel, ein rationaler, der Vernunft entsprechender Gott. Weiter hat er uns Menschen nach seinem Abbild erschaffen, inklusive unserer eigenen Vernunft. Gerade deshalb ist es möglich, dass wir Menschen auf der Grundlage von Beobachtung und dem Gebrauch unserer gottgegebenen Vernunft, wahre Dinge über die göttliche Ordnung und die von Gott aufrechterhaltenen Gesetze der Natur herausfinden können. Es ist dieses christliche Weltbild, welches Wissenschaft erst denkbar und möglich macht.
Nicht überraschend vertraten die frühen Naturwissenschaftler genau diese Weltanschauung. Keppler, Newton, Pascal, Boyle und Descartes waren Christen. Es erstaunt auch nicht, dass die meisten Mitglieder der 1662 gegründeten Londoner Akademie der Wissenschaften, der Royal Society, bekennende Christen waren. Auch später waren viele der grossen Wissenschaftler ihrer Zeit bekennende Christen, wie Michael Faraday und James Maxwell im 19. Jahrhundert.
Die grosse Mehrheit der Wissenschaftler, die an der Geburt der modernen Wissenschaft beteiligt waren, hatte eine christliche Grundlage. Sie glaubten, dass Gott als Schöpfer seine Schöpfung Gesetzen unterworfen hat, die wir entdecken können. Ja, sogar entdecken sollen als Teil des göttlichen Auftrags, uns die Erde untertan zu machen. Und in der Tat war und ist die moderne Wissenschaft ein Segen für die Menschheit. Denken wir nur an die vielen Technologien, die uns heute unser Leben vereinfachen. Sie alle wären ohne die Grundlagen der modernen Wissenschaft nicht denkbar.
Die ersten modernen Wissenschaftler glaubten an die Einheitlichkeit von natürlichen Ursachen und deren Wirkung (Kausalität) innerhalb eines offenen Systems. Gott und der Mensch befanden sich aber ausserhalb dieser von natürlichen Ursachen und deren Wirkung bestimmten kosmischen Maschine. Deshalb konnten sowohl Gott als auch die Menschen diese Maschine beeinflussen.
Aber dann kam es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Paradigmenwechsel. Aus dem offenen System wurde ein geschlossenes System. Die neue Grundannahme war nun, dass nichts ausserhalb der kosmischen Maschine existiert. Gott hatte in diesem geschlossenen System keinen Platz mehr. Denkt man diesen Ansatz allerdings konsequent zu Ende, hat auch der Mensch als Mensch keinen Platz mehr darin. Er wird einfach selbst zum Teil der kosmischen Maschine und ist – genau gleich wie alle anderen ihrer Bestandteile – der Diktatur von unpersönlichen Ursachen und deren Wirkung ausgesetzt. Natürlich verträgt sich das schlecht mit der Idee, dass der Mensch gut und das Mass aller Dinge sei.
Aber was hat diesen Paradigmenwechsel hervorgebracht? Es waren nicht Erkenntnisse aus der empirischen Forschung, die zu diesem Paradigmenwechsel führten. Nein, es wurde schlicht und einfach ein verändertes Weltbild von den materialistischen Philosophen übernommen. Das Paradebeispiel ist Darwins Theorie der Evolution. Es war Darwins erklärtes Ziel, die Natur ohne Gott erklären zu können. Seine Theorie basierte nicht auf experimenteller Forschung, sondern wurde einfach aus dem gewünschten Ergebnis abgeleitet. Im zweiten Artikel dieser Serie (Der Mensch entstand durch Evolution) habe ich diese Lüge bereits detailliert entlarvt.
Materialismus und Humanismus heute
Wenn auch stark verkürzt und vereinfacht dargestellt, so hilft uns dieser kurze Rückblick auf die Entwicklung menschlichen Denkens doch zu verstehen, wo wir heute stehen.
So folgen die Menschen heute der Idee des Materialismus, wonach nichts ausser Materie und Energie existiert. Beide haben schon immer existiert, wenn auch in anderer Form als heute. Aus dieser ewigen Materie und Energie ist über sehr lange Zeiträume durch Zufall alles entstanden, was wir heute beobachten können. Auch das Leben und der Mensch.
Louis Pasteur hat 1864 zwar experimentell gezeigt, dass aus toter Materie kein Leben hervorkommen kann. Aber die (gegen Gott rebellierenden) Menschen wollten unbedingt an einen unpersönlichen Anfang ohne Gott glauben. Und so beharren sie darauf, dass alles, was existiert und sämtliche Vorgänge, die wir in der Natur beobachten können, sich durch Materie, Energie und natürliche Ursachen beschreiben und erklären lassen. Materie und Energie werden so zur endgültigen und absoluten Realität.
Übernatürliches ist damit ausgeschlossen. Insbesondere ist ein persönlicher und ewiger Gott ausgeschlossen, der die Kraft und die Macht besitzt, das ganze Universum hervorzubringen. Ein Gott, der ausserhalb des von ihm geschaffenen, offenen Systems existiert und dieses auch beeinflusst. Ein Gott, der endgültige absolute Realität ist – nicht die von ihm geschaffene materielle Welt.
Wir erinnern uns, dass der Humanismus den Menschen autonom machen wollte, den Menschen als grossartig und als Mass aller Dinge betrachten wollte. Das bringt mit sich, dass der Mensch Wissen nur aus sich selbst heraus erlangen kann. Wissen, das von Gott kommt (durch göttliche Offenbarung) ist ausgeschlossen. Und das gilt für jegliche Art von Wissen. Auch für Wissen über den Menschen selbst und natürlich für Wissen über Gott und die Schöpfung.
Genau dieses Denken erklärt, weshalb Gott aus der Wissenschaft verbannt wurde. Statt sich autonom zu machen, hat der Humanismus aber dazu geführt, dass der Mensch sich in letzter Konsequenz selbst abgeschafft hat. Er ist jetzt einfach Teil der unpersönlichen kosmischen Maschine. Francis Schaeffer (1912–1984) hat es treffend formuliert: “Der Mensch als Mensch ist tot. Das Leben ist zwecklos und ohne Sinn.” Statt den Menschen stolz und autonom zu machen, wurde er durch den Humanismus einfach zu einer Ansammlung von Molekülen, die durch Zufall entstanden ist.
Natürlich sind die Menschen aber nicht willens, diese traurige Schlussfolgerung hinzunehmen und konsequent danach zu leben. Sie sind verzweifelt auf der Suche nach Sinn, nach Werten, nach Liebe und Freiheit. Es sind dies aber alles Dinge, die es für Menschen als zufällige Ansammlung von Molekülen, die zudem nichts anderes sind als ein Bestandteil einer unpersönlichen kosmischen Maschine, doch gar nicht geben kann.
In diesem Weltbild kann es Autonomie ebenso wenig wie Werte geben. Aber ohne Werte gibt es auch kein “gut.” Trotzdem halten die Menschen an der Idee fest, dass sie grundsätzlich gut und autonom seien.
Diese Widersprüche allein müssten eigentlich Grund genug dafür sein, die Annahmen der humanistischen und materialistischen Weltanschauung zu verwerfen und die Offenbarung Gottes mindestens als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Das möchten die Menschen aber nicht.
Im dritten Kapitel werden wir uns deshalb ausführlich mit der Evidenz beschäftigen. Welche der beiden gegensätzlichen Weltanschauungen, die biblische oder die humanistisch-materialistische, entspricht der beobachtbaren Realität?